Geschichten leben von Spannungsbögen und
dramatischen Verläufen. Der Held löst das Problem, rettet die Welt oder
die Prinzessin oder etwas anderes, ja nach Geschichte. Er (oder sie)
„trägt“ die Geschichte.
Wir identifizieren uns mit ihm (oder ihr) und
wollen die Beweggründe des Helden verstehen. Warum hat sie das gemacht?
Was brachte ihn zu einer bestimmten Entscheidung? Wie hat sie kritische
Situationen eingeschätzt und warum genau so und nicht anders?
Als „soziales Konzept“ richten wir unsere
Aufmerksamkeit gerne auf den Helden einer Geschichte. Je glaubwürdiger
und klarer beschrieben, umso leichter fällt uns das. Das sind wir
gewohnt und es ist vielfach so selbstverständlich, dass wir es gar nicht
mehr merken. Nur wenn ein Held an einer Stelle nicht verfügbar ist, wo
wir einen erwarten, wird uns die Bedeutung manchmal bewusst.
Helden machen Geschichten anschaulich, spannend und
geben oft der Geschichte mit der Helden-Persönlichkeit eine innere
Logik mit. Wir mögen das. Indem wir mit dem Helden mitfiebern, erkennen
wir einen „tieferen Sinn“ in der Handlungsweise des Helden. Da unser
Gehirn nur Sachen mag, deren Sinn es erkennen kann, ist das ein ganz
wichtiges Konzept für die Wirkungsweise von Geschichten.
Das wirkliche Leben fühlt sich oft anders an als
das „erzählte Leben“. Da spielen Helden viel seltener eine Rolle. Es
gibt sie nicht so oft und sie tragen selten ein ganzen Drama aus.
Zumindest nicht im Alltags-Business und im Alltags-Projekt bzw. im
Projektalltag.
Im Arbeitsalltag kommt es darauf an, dass wir
„unseren Job machen“, und zwar so gut und zuverlässig wie möglich. Und
vieles davon ist Routine. Nicht sehr heldentauglich.
Andersherum: Das Leben von James Bond und Indiana
Jones besteht nicht aus einer dauerhaften 38-Stunden Woche mit
Abenteuern, die sie Stück für Stück in 1,5 Stunden Kinofilmlänge
absolvieren. Machen sie nicht. Was machen sie dann? Aber es scheint
niemanden zu interessieren, was sie in der Zeit zwischen den Abenteuern
so machen. Buchhaltung? Steuererklärung? Zimmer aufräumen? Wäsche
waschen? Haben wirkliche Helden überhaupt einen Alltag? Einen
nicht-heldentauglichen Alltag? Interessiert uns das so genau?
Eines meiner Lieblings-Bilderbücher ist von einem
britischen Autor (Raymond Briggs) und hat den Titel „Was macht der
Weihnachtsmann im Juli?“. Eine wunderbare Geschichte, die einen allseits
bekannten und beliebten Helden (den Weihnachtsmann) außerhalb der
Saison und auch mal schlecht gelaunt und genervt zeigt. Er macht
übrigens Urlaub in Frankeich. Ganz alltäglich also: Er erholt sich.
Indiana Jones hält Vorlesungen und James Bond macht wahrscheinlich die
Spesenabrechnung.
Helden können uns also ein ganz falsches, weil unvollständiges Bild vermitteln.
Die Projektkrise, die der Projektmanager heldenhaft
meistert und damit sein Projekt “rettet“ ist also bestenfalls die
Ausnahme und hoffentlich nicht der Alltag. Erzählt wird aber die
Ausnahme und nicht der Alltag, weil wir von dem Abenteuer des
Projektleiters ja lernen wollen.
Der Held wird in dem Moment zum Held, wenn wir etwas von ihm lernen.
Das kann manchmal für den Held ganz undramatisch sein, aber für uns löst es ein Alltagsproblem, das uns gerade aufhält. Der Kollege vom IT Support, der eine verfahrene Situation mit meinem Rechner im Handumdrehen löst, ist in dem Moment für mich "ein Held" in einem ganz individuellen Alltagsdrama. Für ihn ist es Routine.
Fazit: Projektleiter sind keine Helden im Dauereinsatz, sondern sie machen ganz routiniert einen Job. Und für andere sieht es hin und wieder so aus, als wären sie Helden dramatischer Abenteuer. Alles eine Frage der Perspektive.
Das ist der Grund, warum ich auf Helden im Business Storytelling nicht verzichten kann. Je nach Perspektive ist die Story für den einen Routine und für den anderen ein dramatisches Abenteuer. Und in den unterschiedlichen Perspektiven auf eine Story liegt eine ganz besondere Spannung. Kenne ich den Helden, kenne ich schon mal eine Perspektive auf die Story und mache mich dann auf die Suche nach den anderen Perspektiven.
Es gibt ja immer mindestens 3 Seiten einer Medaille:
Unsere - die des Gegenüber - und die, die wir noch nicht kennen.