Freitag, November 22, 2013

Wind of Change



Was in Change Projekten oft vergessen wird


Ein neuer Projekttag fängt gegen 8:30 unter dem Motto „Stau“ an: Autobahnstau auf dem Weg ins Büro, Stau vor der Kaffeemaschine, Papierstau im Multifunktionsdrucker, Stau vor dem Projektleiter Büro und Kampf um einen Termin – hat er schon wieder seine Termine doppelt und dreifach vergeben?…der normaler Wahnsinn.
Doch kurz nach 9 Uhr entspannt sich langsam die Lage und alle wissen wieder, was zu tun ist. Das Projektteam geht an seine Aufgaben routiniert heran: das Rollout Team plant die nächsten Standorte aus – wer wann umgestellt wird, wer bekommt ein Softwareupdate und wer erhält noch einen neuen PC dazu. Das PMO verteilt die Aufgaben für die kommende Woche, prüft Budget und Einsatzplanung. Das Kommunikationsteam erarbeitet FAQs, passt das unternehmensweite Kommunikations-Konzept und auch schnell mal die Strategie an. Irgendwer schreibt neuen Intranet Artikel: „Bald arbeiten wir alle mit neuen und stabilen Betriebssystem“ – nach dem Motto „User in Change Prozess miteinzubeziehen“. Alles durchgeplant und standardisiert – es ist ja nur ein neues Betriebssystem für 5000 Clients. Dahinter stehen 5000 Mitarbeiter…
Noch einen Schluck Kaffee und ran an die Mails. Wie immer – zuerst sind diejenigen mit „Wichtigkeit hoch“ an der Reihe. Eine Betreffzeile zu „Ungerechtigkeit verhindern“ zerstört meine durchaus strukturierte Arbeitsweise:

…..

aufgrund des Windows 7 Rollouts und natürlich auch aufgrund des Alters meines momentanen Laptops wird dieser getauscht.
Nun meine Frage, was geschieht mit meinem treuen Wegbegleiter?
Nur weil er in die Jahre gekommen ist sollte man ihn nicht abschieben… ihn nicht selbst seinem Schicksal überlassen, indem er in einem dunklen Keller
in einem Gitterkäfig zwischen allerlei Krabbelgetier und Kartons sein Dasein fristet oder im schlimmsten Fall vielleicht einfach in Vergessenheit gerät…
Wäre es möglich Ihn vor diesem Schicksal zu retten? Ich würde mich weiterhin sorgsam um Ihn kümmern, Ihn hegen und pflegen bis seine kleinen Kondensatoren und
Platinen irgendwann nicht mehr so können wie sie sollten und ich Ihn dann in die Betreuung von Wall-E geben könnte… welcher sich wahrscheinlich voller Liebe und Hingabe um Ihn kümmern würde…
Betreuungsgeld wäre natürlich in Form einer einmaligen Ablöse vorhanden, nur die Höhe der Ablöse müsste man mir ggf. mitteilen.

…..

Zugegeben, ich musste zwei Mal lesen… Alle Prozesse sind doch längst definiert und das Vorgehen den Usern mitgeteilt: Daten werden gesichert, ein neuer Laptop wird angeliefert und durch die Techniker vor Ort konfiguriert, die gesicherten Daten wieder aufgespielt. Der Altrechner wird anschließend von einem Dienstleister abgeholt und nach Konzernsicherheitsrichtlinien entsorgt – Thema erledigt, nächster User… Es gibt keinen Grund vom Standardprozess abzuweichen und solche Verhandlungen mit einzelnen Usern überhaupt anzufangen – sonst werden wir nie fertig!
Für die Verfechter der standardisierten Vorgehensweise ist das ganz klar.
Und trotzdem:
Nach etwas Aufregung und dem Schmunzeln, das diese Mail mit sich brachte wurde dann doch eine ganz individuelle Antwort formuliert:

……….

vielen Dank für die Anfrage zur Abwicklung des Altrechners
Gerne würden wir Wall-E und Eve eine Chance geben und Ihnen den Rechner vertrauensvoll überlassen.
Ich befürchte nur – der Neid der Kollegen würde die Wächterdrohnen auf den Plan rufen und die Gleichbehandlungsparolen an die LED Wände würden unsere Pläne durchkreuzen.
Zudem müssen wir noch etwas auf das zur Realisierung notwendige Raumschiff zur Evakuierung der Erde warten – und die Technologie schreitet ja bis dahin noch etwas voran.
Deshalb führen wir im Rahmen des Windows 7 Rollouts ein sog. Refurbish der Hardware durch.
Die Hardware wird durch unseren Rolloutdienstleister aufbereitet und wir erhalten hierfür einen gewissen Obulus für die durch den Dienstleister übernommene Hardware.
Wall-E wird sich also noch etwas gedulden müssen –vielleicht können wir die Idee mit Windows 12 nochmals aufgreifen.

……..


Selbst ein  „Standard-“ Change Projekt kann bei jeden Betroffenen – Oh Schreck - GEFÜHLE auslösen – und auch noch solche, auf die wir nicht vorbereitet sind oder die im standardisierten Projektprozess nicht vorgesehen und beschrieben worden sind.
Manchmal müssen wir einzelne Menschen anders abholen - außerhalb des Standardprozesses -  um die allgemeine Akzeptanz für die Veränderung im Unternehmen zu schaffen und zu erhöhen.
Die Veränderung soll für alle verständlich und akzeptabel sein. Das heißt eben manchmal eine individuelle Mail zu schreiben statt auf die vorformulierte Vorlage zurückzugreifen. Zum Beispiel.
Es sind die kleinen Schritte, die die Staus im Projekt reduzieren …

Autor: Jolanta Czagin (@wowolek)