Was in Change Projekten oft vergessen wird
Ein neuer Projekttag fängt gegen 8:30 unter dem Motto „Stau“ an:
Autobahnstau auf dem Weg ins Büro, Stau vor der Kaffeemaschine, Papierstau im
Multifunktionsdrucker, Stau vor dem Projektleiter Büro und Kampf um einen
Termin – hat er schon wieder seine Termine doppelt und dreifach vergeben?…der
normaler Wahnsinn.
Doch kurz nach 9 Uhr entspannt sich langsam die Lage und alle
wissen wieder, was zu tun ist. Das Projektteam geht an seine Aufgaben routiniert
heran: das Rollout Team plant die nächsten Standorte aus – wer wann umgestellt
wird, wer bekommt ein Softwareupdate und wer erhält noch einen neuen PC dazu. Das
PMO verteilt die Aufgaben für die kommende Woche, prüft Budget und
Einsatzplanung. Das Kommunikationsteam erarbeitet FAQs, passt das
unternehmensweite Kommunikations-Konzept und auch schnell mal die Strategie an.
Irgendwer schreibt neuen Intranet Artikel: „Bald arbeiten wir alle mit neuen und
stabilen Betriebssystem“ – nach dem Motto „User in Change Prozess
miteinzubeziehen“. Alles durchgeplant und standardisiert – es ist ja nur ein
neues Betriebssystem für 5000 Clients. Dahinter stehen 5000 Mitarbeiter…
Noch einen Schluck Kaffee und ran an die Mails. Wie immer – zuerst
sind diejenigen mit „Wichtigkeit hoch“ an der Reihe. Eine Betreffzeile zu „Ungerechtigkeit
verhindern“ zerstört meine durchaus strukturierte Arbeitsweise:
…..
aufgrund des Windows 7
Rollouts und natürlich auch aufgrund des Alters meines momentanen Laptops wird
dieser getauscht.
Nun meine Frage, was
geschieht mit meinem treuen Wegbegleiter?
Nur weil er in die Jahre
gekommen ist sollte man ihn nicht abschieben… ihn nicht selbst seinem Schicksal
überlassen, indem er in einem dunklen Keller
in einem Gitterkäfig
zwischen allerlei Krabbelgetier und Kartons sein Dasein fristet oder im
schlimmsten Fall vielleicht einfach in Vergessenheit gerät…
Wäre es möglich Ihn vor
diesem Schicksal zu retten? Ich würde mich weiterhin sorgsam um Ihn kümmern,
Ihn hegen und pflegen bis seine kleinen Kondensatoren und
Platinen irgendwann
nicht mehr so können wie sie sollten und ich Ihn dann in die Betreuung von
Wall-E geben könnte… welcher sich wahrscheinlich voller Liebe und Hingabe um
Ihn kümmern würde…
Betreuungsgeld wäre
natürlich in Form einer einmaligen Ablöse vorhanden, nur die Höhe der Ablöse
müsste man mir ggf. mitteilen.
…..
Zugegeben, ich musste
zwei Mal lesen… Alle Prozesse sind doch längst definiert und das Vorgehen den
Usern mitgeteilt: Daten werden gesichert, ein neuer Laptop wird angeliefert und
durch die Techniker vor Ort konfiguriert, die gesicherten Daten wieder aufgespielt.
Der Altrechner wird anschließend von einem Dienstleister abgeholt und nach
Konzernsicherheitsrichtlinien entsorgt – Thema erledigt, nächster User… Es gibt
keinen Grund vom Standardprozess abzuweichen und solche Verhandlungen mit
einzelnen Usern überhaupt anzufangen – sonst werden wir nie fertig!
Für die Verfechter der
standardisierten Vorgehensweise ist das ganz klar.
Und trotzdem:
Nach etwas Aufregung und
dem Schmunzeln, das diese Mail mit sich brachte wurde dann doch eine ganz
individuelle Antwort formuliert:
……….
vielen Dank für die
Anfrage zur Abwicklung des Altrechners
Gerne würden wir Wall-E
und Eve eine Chance geben und Ihnen den Rechner vertrauensvoll überlassen.
Ich befürchte nur – der
Neid der Kollegen würde die Wächterdrohnen auf den Plan rufen und die
Gleichbehandlungsparolen an die LED Wände würden unsere Pläne durchkreuzen.
Zudem müssen wir noch etwas
auf das zur Realisierung notwendige Raumschiff zur Evakuierung der Erde warten
– und die Technologie schreitet ja bis dahin noch etwas voran.
Deshalb führen wir im
Rahmen des Windows 7 Rollouts ein sog. Refurbish der Hardware durch.
Die Hardware wird durch
unseren Rolloutdienstleister aufbereitet und wir erhalten hierfür einen
gewissen Obulus für die durch den Dienstleister übernommene Hardware.
Wall-E wird sich also
noch etwas gedulden müssen –vielleicht können wir die Idee mit Windows 12
nochmals aufgreifen.
……..
Selbst ein „Standard-“ Change Projekt kann bei jeden
Betroffenen – Oh Schreck - GEFÜHLE auslösen – und auch noch solche, auf die wir
nicht vorbereitet sind oder die im standardisierten Projektprozess nicht vorgesehen
und beschrieben worden sind.
Manchmal müssen wir einzelne
Menschen anders abholen - außerhalb des Standardprozesses - um die allgemeine Akzeptanz für die
Veränderung im Unternehmen zu schaffen und zu erhöhen.
Die Veränderung soll für
alle verständlich und akzeptabel sein. Das heißt eben manchmal eine
individuelle Mail zu schreiben statt auf die vorformulierte Vorlage
zurückzugreifen. Zum Beispiel.
Es sind die kleinen
Schritte, die die Staus im Projekt reduzieren …